Mit Zapfen, Geißfuß und Stecheisen

Immersion

2. September 2016

Mit Zapfen, Geißfuß und Stecheisen

Wie die Dächer in Klugheim mit traditionellem Handwerk entstanden

Ob Spitzdach, Tonnendach oder Satteldach – jede Dachform der Häuser in Klugheim ist ein Ausdruck der Leidenschaft für das Material Holz und der Liebe zum traditionellen Handwerk des Zimmermanns.

Wie die Tonnengaube auf dem Bahnhof des Multi-Launch-Coasters Taron mit ihren 6,50 Meter hohen Bögen, erheben sich auch die anderen Dachformen des Dorfes imposant in den Himmel der neuen Themenwelt. Für sie wurde dort oben eine ganz eigene Welt geschaffen. Eine, in der facettenreiche Holzstrukturen Dächer lebendig werden lassen, ihnen Konturen verleihen, sie vollenden. Sie sind der Beleg dafür, dass auch im Jahr 2016 noch etwas ganz Wunderbares mit traditionellem Handwerk entstehen kann.

Eine Tonnengaube ist ein senkrechter Aufbau im Dach eines Gebäudes, der die Form eines Kreises oder Bogen hat. Die Gaube entsteht durch viele unterschiedliche Verbindungen – wie etwa durch einen Geißfuß. Dabei wird bei einem Balken eine Ecke in Form eines V herausgeschnitten. Anschließend wird der Balken auf den Träger einer Dachkonstruktion gesetzt.

Die besonderen Fähigkeiten, aus Verzapfungen, Geißfüßen sowie Quer- und Eckverbindungen Häuser zu errichten, sind der Erfahrung ganzer Zeitalter erwachsen. Über viele Jahrhunderte hinweg gehörten Zimmermänner zu den wichtigsten Berufsständen in den Städten und Dörfern, weil nur sie die besonderen Verbindungstechniken beherrschten und damit eindrucksvolle Prestigebauten wie Rat- und Zunfthäuser durch Dachformen und Gauben bereichern konnten. Von Generation zu Generation vermittelten die Meister des Handwerks ihr Wissen an ihre Nachfahren und lehrten sie, mit Holz Besonderes zu schaffen. Dieses Erbe lebt in Klugheim weiter.

Renaissance des Handwerks

„Jedes Dach ist ein Unikat. Wir haben sie so gebaut, wie das schon vor vielen Jahrzehnten gemacht wurde“, erklärt Quirin Hensberg. Der Zimmermeister aus Weilerswist hat sich mit seiner Firma der gleichsam schönen wie ursprünglichen Konstruktion von Holzdächern verschrieben. „Es macht mich stolz, meine Zunft in Klugheim vertreten zu dürfen und ein ganzes Dorf aus Holz mit dem ursprünglichen Handwerk zu errichten.“

Nur jemand wie er, der die Tradition zu schätzen weiß, der sie lebt, kam für den Bau dieser besonderen Dachformen in Frage. Moderne Bautechniken und High-Tech hätten dem Holz einfach nicht diesen archaischen Charakter entlocken können, der so perfekt in die Themenwelt passt. In Klugheim erlebt die Tradition des Handwerks somit eine Renaissance. „Die Gelegenheit, solche Holzdächer zu bauen, werde ich wohl nie mehr wieder bekommen. Das macht mir deswegen richtig Spaß hier“, sagt das rheinische Original.

Jeder einzelne Balken in den aufwendigen Dachkonstruktionen trägt im wahrsten Sinne des Wortes Verantwortung, jeder erfüllt eine bestimmte Funktion. Für sich alleine sind es nur Holzbalken, doch die Fingerfertigkeit und die Expertise der Zimmermänner lassen aus Hunderten einzelnen ein Ganzes werden. „Viele können heute mit den alten Verbindungstechniken nichts mehr anfangen.

Statiker wissen gar nicht mehr, welche Kraft Zapfen aufnehmen können und wie man das berechnet. Deswegen greifen Architekten heutzutage oft auf Stahl zurück“, berichtet Quirin Hensberg. In den Holzhäusern von Klugheim durchdringen hingegen nur wenige Nägel und Schrauben die Balken und Bretter. „Wir verbauen so wenig Metall wie möglich, das ist nochmal ein zusätzlicher Anreiz bei einem solch großen Projekt.“

600 Verzapfungen

Mit Stecheisen, Handhobel und Ein-Mann-Bandsägen bringen die Zimmermänner Balken um Balken in die richtige Passform und verbinden sie anschließend zu unzähligen Verzapfungen. „Zuerst stemmen wir mit einem Stecheisen ein Loch in einen Balken, den wir vorher auf die richtige Länge gebracht haben“, erklärt der Zimmermeister. „Dieses Loch muss exakt der Größe des Zapfens am anderen Balken entsprechen. Sonst ist die ganze Verbindung sinnlos, weil es nicht richtig hält.“

Den Zapfen hat er vorher mit einer Säge aus dem Endstück des Balkens geformt. „Dann fügen wir die beiden Balken mit einer Verzapfung zusammen und formen aus den jeweiligen Enden wiederum andere Verzapfungen. Solange, bis das Haus steht“, sagt der Zimmermeister.

Mit bis zu 600 Verzapfungen entstand das höchste Gebäude mit Sattelgaube auf dem Dach. „Als wir die Häuser hier gebaut haben, waren die Architekten schon überrascht, weil sie das heutzutage so selten sehen“, berichtet der Weilerswister. Denn eine Gaube in ein Dach zu bauen, erfordert sorgfältige Planung, eine exakte Berechnung und Vorbereitung. „Das ist vielen zu aufwendig geworden“, betont Quirin Hensberg.

Ihm hingegen liegt das Arbeiten mit Holz im Blut. Wenn man sich mit ihm unterhält, merkt man ihm gleich an, wie sehr er die Möglichkeit genießt, seine Fähigkeiten in die Entstehung Klugheims einzubringen. Hier ist sein Wissen, seine Expertise unentbehrlich. Die Augen des Zimmermeisters glänzen, wenn er sein persönliches Meisterwerk oben auf dem Dach eines der Häuser inmitten des Dorfes sieht: „Die Spitzgaube als Satteldach, die von vorne nach hinten durchgeht, das hat absolut Seltenheitswert. Das ist ganz großes Kino.“

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